Majjhima Nikāya, Mittlere Sammlung

DRITTER TEIL: DIE SPÄTEREN FÜNFZIG – Uparipannāsam

XV. BUCH: DIE SECHS SINNE – Salāyatanavaggo

152. Beherrschung der Sinne – Indriyabhāvana Sutta

 

Vorbemerkung: indriyabhāvanā bedeutet in den alten Texten: <Pflege oder Entfaltung der Fähigkeiten>, während <Beherrschung oder Bewachung der Sinne> in alten Texten indriyagutti lautet. Hier geht aber aus dem Zusammenhang hervor, daß <Beherrschung der Sinne> gemeint ist.

 

So habe ich es gehört:

Als der Erhabene einst im Mukhelu-Walde bei Kajāngala weilte, kam der junge Brahmane Uttara, ein Schüler des Parasāriya, zu ihm, begrüßte ihn höflich und setzte sich zu ihm. Der Erhabene fragte ihn, was der Brahmane Parasāriya über die Beherrschung der Sinne lehre. Uttara sagte, der Brahmane lehre, man solle mit dem Auge keine sichtbaren Gestalten sehen und mit dem Ohr keine Töne hören. «Dann», sagte der Erhabene, «beherrschen Blinde und Taube ihre Sinne, denn ein Blinder sieht nichts, und ein Tauber hört nichts.»

Nach diesen Worten verstummte Uttara und saß mit hängenden Schultern und rotem Kopf da. Als der Erhabene ihn so sitzen sah, sprach er zu Ānanda: «Der Brahmane Parasāriya erklärt die Beherrschung der Sinne anders, als dies im Orden der Edlen erklärt wird.» Auf Ānandas Bitte um Erklärung fuhr der Erhabene fort: «Im Orden der Edlen wird die Beherrschung der Sinne so erklärt: Wenn man eine sichtbare Gestalt gesehen, einen Ton gehört, einen Duft gerochen, einen Saft geschmeckt, etwas Tastbares getastet, eine Vorstellung gedacht hat, dann empfindet man Erfreuliches oder Unerfreuliches oder teils Erfreuliches und teils Unerfreuliches. Darauf erkennt man, daß das als erfreulich, als unerfreulich oder als teils erfreulich und teils unerfreulich Empfundene ein Erzeugnis geistiger Tätigkeit ist, daß es etwas Unechtes ist, daß es bedingt entstanden ist; und man weiß, daß es etwas Echtes und Hocherhabenes gibt, nämlich den Gleichmut. Dann schwindet das so oder so Empfundene dahin, und der Gleichmut festigt sich. So schnell, wie ein sehender Mensch die Augen öffnet und schließt, oder wie ein starker Mann leicht mit den Fingern knipst, oder wie ein Wassertropfen von einem Lotusblatt abläuft, oder wie ein starker Mann ausspuckt oder einen Arm ausstreckt oder beugt, oder wie zwei oder drei Wassertropfen von einer glühenden Eisenpfanne verschwinden, – so schnell und leicht schwindet das Empfundene dahin, und der Gleichmut festigt sich. So beherrscht man die Sinne im Orden der Edlen.

Ein Strebender aber, der auf dem Pfade fortschreitet, wird, wenn er mit den Sinnen etwas wahrgenommen hat und ihm dabei erfreuliche oder unerfreuliche oder teils erfreuliche, teils unerfreuliche Empfindungen kommen, davor zurückschrecken und sich mit Abscheu davon abwenden. In der gleichen Lage verhält sich ein Edler so: Wenn er Widerwärtiges als nicht widerwärtig empfinden will, empfindet er es als nicht widerwärtig; wenn er Nichtwiderwärtiges als widerwärtig empfinden will, empfindet er es als widerwärtig; wenn er Widerwärtiges und Nichtwiderwärtiges als nicht widerwärtig empfinden will, empfindet er es als nicht widerwärtig, wenn er Nichtwiderwärtiges und Widerwärtiges als widerwärtig empfinden will, empfindet er es als widerwärtig; wenn er Widerwärtiges und Nichtwiderwärtiges abweisen und gleichgültig, achtsam und wissensklar bleiben will, dann bleibt er gleichgültig, achtsam und wissensklar. So beherrscht man die Sinne im Orden der Edlen.»


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