Majjhima Nikāya, Mittlere Sammlung

ZWEITER TEIL: DIE MITTLEREN FÜNFZIG - Majjhimapannāsam

X. BUCH: BRAHMANEN - Brāhmanavaggo

92. Sela Sutta

 

Vorbemerkung: Dieses Sutta ist aus der alten Sammlung Suttanipāta, wo es unter Nr. III, 7 steht, hierher übernommen worden. Ursprünglich sind darin nur die Verse, während die Rahmenerzählung offenbar später hinzugefügt worden ist. Diese wird, weil sie sich aus Sätzen zusammengesetzt, die schon aus anderen Sutten bekannt sind, in der Übersetzung kurz zusammengefasst, während die altertümlichen Verse voll übersetzt werden.

 

   [Es wird berichtet: Als der Erhabene durch das Land Anga nördlich vom Ganges wanderte und nach Apana kam, suchte ihn dort der Flechten tragende Feuerpriester Kéniya auf und lud ihn mit den ihn begleitenden 1250 Bhikkhus zum Mahle ein, das ihm seine Freunde und Gönner zubereiten halfen. Der hochgelehrte Brahmane Sela sah die Vorbereitungen und fragte Kéniya, ob er eine Hochzeit feiern wolle. Kéniya sagte ihm, er wolle Buddha und seine Bhikkhus bewirten. Als Sela das Wort Buddha, der Erwachte, hörte, beschloss er sogleich, den Erhabenen aufzusuchen; er ging mit seinen 300 Schülern zu ihm und sprach:]

 

«Vollkommen ist dein Leib, ist wohlgestaltet, schön;
Du glänzt wie Gold, hast Kraft, hast herrlich weiße Zähne.
 
Die Merkmale hast du des wohlgebauten Mannes,
Hast alle Zeichen, die den Übermenschen zieren,
 
Hast hellen Blick, bist schön von Angesicht und Wuchs
Und strahlst, der Sonne gleich, im Kreis der Samanas.
 
Ein Bhikkhu, wunderschön mit goldig blanker Haut:
Warum lebst du als Mönch, da du so herrlich bist?
 
Du solltest König sein, Weltherrscher, höchster Kriegsherr
Und siegreich überall, ganz Indiens Gebieter!
 
Fürsten und Adlige, sie sind dir untertan.
Sei Oberkönig du, regiere, Gotama!»

 

(Der Erhabene:)

«Ein König bin ich ja, der Wahrheit höchster Herr.
Ich dreh' der Wahrheit Rad [1], das niemand rückwärts dreht.

 

(Sela :)

«Du nennst dich voll erwacht, der Wahrheit höchsten Herrn,
Du drehst der Wahrheit Rad, so sagst du, Gotama.
 
Wer ist dein Feldmarschall, der Jünger, der dir folgt?
Wer dreht der Wahrheit Rad, das du gedreht, nach dir?»

 

(Der Erhabene:)

«Das Rad, das ich gedreht, das höchste Wahrheitsrad,
Das dreht dann Sariputt', gleich dem Vollendeten.
 
Was man erkennen soll, das habe ich erkannt
Und laß', was lassenswert. Darum bin ich erwacht.
 
So zweifle nicht an mir, vertraue mir, Brahmane!
Nur selten kann man einen voll Erwachten sehn.
 
Was selten in der Welt erscheinet, das bin ich:
Ein voll Erwachter, der die Wunden alle heilt.
 
Ich schlage Māras Heer, bin unvergleichbar heil,
Herr über jeden Feind, bin froh und fürchte nichts.

 

(Sela :)

«Merkt auf, ihr Herren, hört, wie dies der Seher sagt!
Der Wunden Arzt, der Held brüllt wie im Wald der Leu,
Der Māras Heere schlug, heilig wie keiner sonst.
Selbst wer von Schwarzen stammt[2], wer könnt' ihm nicht vertraun?
Wer will, der folge mir, wer nicht will, gehe fort!
Ich werde bei ihm Mönch, bei diesem Weisheitshort.

 

(Selas Schüler:)

«Wenn du sie billigst, Herr, des Vollerwachten Lehre,
So wollen gern auch wir des Weisen Bhikkhus sein.»

 

(Sela :)

«Dreihundert Brahmanas flehn mit erhobner Hand:
Erhabener, bei dir wolln gern wir Bhikkhu sein.»

 

(Der Erhabene:)

«Die Lehre ist erklärt, die hier schon selig macht.
Wer eifrig sie befolgt, der erntet reiche Frucht»

 

[Der Erhabene erteilte dem Brahmanen Sela und seinen dreihundert Schülern die Ordensweihe. Darauf speiste er mit seinen Bhikkhus bei Kéniya und nach dem Mahle dankte er ihm mit diesem Spruch :]

 

«Die Opfer führt das Feuer an, die Versmaße die Sāvitri[3],
Die Menschen führt der König an, die Flüsse münden in das Meer.
Das Sternenheer regiert der Mond, die Sonne alles Leuchtende.
Wer sich Verdienst erwerben will, am besten spendet er dem Orden.»

 

[Inzwischen übten Sela und seine Schüler eifrig nach Buddhas Anleitung und erreichten schon nach sieben Tagen die Heiligkeit. Am folgenden Tage gingen sie zum Erhabenen und sprachen:]

 

«Acht Tage sind es, seit wir Zuflucht bei dir nahmen,
In sieben wurden wir durch dein Gebot gezähmt.
Der Buddha bist du, bist der Meister, Māras Herr,
Zerschnittst die Neigungen, die Menschheit machst du frei.
Entschlüpft der Weltlichkeit, hast du, was stört[4], vernichtet,
Nicht haftend, wie der Leu, hast du die Furcht gebannt.
Dreihundert Bhikkhus steh'n hier mit erhobner Hand,
Zu deinen Füßen laß die Helden[5] sich verneigen!


[1] Im Text steht zwar hier dhammena cakkam, was eigentlich bedeutet: <mittels der Wahrheit (drehe ich) das Rad>; da aber in den folgenden Versen dhammacakka in demselben Sinne gebraucht wird, darf man auch hier sagen <der Wahrheit Rad>.

[2] Nachkommen der dunkelhäutigen Ureinwohner, Schudras.

[3] Die Hervorhebung des Feueropfers ist ein Kompliment für den Feuerpriester Kéniya, die Sāvitri ist das heilige Versmaß der Veden. - In Jedem Halbvers kommt das Wort mukha vor in seinen verschiedenen Bedeutungen: Mund, Stirn, Front, das Erste, das Vorzüglichste, die Mündung. Im Deutschen fehlt ein so vieldeutiges Wort, es muß deshalb jedesmal anders übersetzt werden.

[4] āsavā, die Anwandlungen, die den inneren Frieden stören.

[5] nāgā bedeutet <Elefanten>, davon abgeleitet: <vortreffliche, übernormale Menschen>.


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